Otherizing – Anderisieren
Montag, 9. Jan 2017 17:49 von Kathleen
Meine amerikanische Freundin Judith Levi machte mich jüngst in einer ihrer Mails, in denen sie – wie so viele in den letzten Wochen – ihre Gedanken über Trump-elect mitteilte, auf den Begriff OTHERIZATION aufmerksam.
Das damit bezeichnete Phänomen ist nicht neu: Für dieses Wahlergebnis, für die Wirtschaftskrise, für alle Kriege der Welt, das eigene Unwohlbefinden und im Zweifel sogar das Wetter „die Anderen“ verantwortlich zu machen.
Typische Handbewegung: Mit ausgestrecktem Zeigefinger entschlossen auf die (vermutete, vermeintliche) Quelle des Missmuts deuten, oder jedenfalls in die Richtung (weil man manchmal ja nicht so genau weiß, wo „DIE“ genau sind).
OTHERIZING kursiert offenbar erst seit wenigen Jahren in der englischen Sprache; eine Nutzerin reklamiert das Erfinden des Begriffs in der Huffington Post 2013. Im Deutschen hat er, soweit ich das kollektive Sprechen in unserer Republik beobachte, noch keine Entsprechung gefunden. Möglichkeiten: ANDERISIEREN, oder auch kurz ANDERN (FREMDELN ist hierfür eindeutig zu „nett“, zu niedlich).
Es schafft Aufmerken, Innehalten, wenn für Bekanntes ein neues Wort entsteht. Hier wird ein Pronomen zur Grundlage einer Verb-Form genommen – eine eher ungewöhnliche Art der Wortbildung, und so Aufmerksamkeit triggernd. Es gibt meist gute Gründe, wenn Sprache von ihren Nutzer*inne*n so schöpferisch genutzt wird und diese Kreationen es dann auch über den privaten Gebrauch hinaus in die Medien und Diskurse schaffen:
Die uralte, wie es scheint „naturgegebene“ Aufteilung einer wachsenden Menschheit in Stämme, Gruppen, Nationen und Clubs aller Art hat offenbar eine neue Qualität von Schädlichkeit erreicht, die ein neues Wort verdient.
Und der Terminus OTHERIZING zeugt auch von der Weisheit seiner Schöpfer*innen: Er verweist auf die Quelle jeglichen Zwists, Streits, Kommunikationsabbruchs und Kriegs. Egal, wie die Begleitumstände auch immer sind, wie groß oder unbedeutend der Anlass: Immer ist das Durchschneiden der humanen Nabelschnur zum Mitmenschen der Ursprung, das Sich-Trennen von der Geschwisterlichkeit, die uns alle unter der Oberfläche der Verschiedenheit verbindet.
Auch wenn es noch so abstoßend, verwerflich, unerträglich ist, was ich Menschen tun sehe – ich will unbedingt versuchen, dieses brüchige Band nicht reißen zu lassen. ME-ing statt OTHERizing, so to say.
P.S.: Judith Levi kommt übrigens im März wieder auf Lesereise nach Deutschland, auch nach Bonn – mehr dazu demnächst.